Nehmen Sie eine Athletin, bereiteten Sie sie durch jahrelange Wettkämpfe vor, geben Sie dann etwas Fotografiebegeisterung hinzu und bringen Sie das Ganze bei einigen der aufregendsten Sportereignisse der Welt zum Kochen. Das Ergebnis? Eine Fotografin, die genauso fokussiert ist wie Leistungssportler. Das ist ihr Vorteil gegenüber der Konkurrenz und verleiht ihren Bildern die Überzeugungskraft eines Insiders. Lernen Sie Mine Kasapoğlu kennen.
„Wenn du nicht k. o. bist“, sagt sie lachend, „hast du eventuell etwas verpasst.“ Diese Überzeugung bringt Mines Einstellung perfekt auf den Punkt. Sie ist bei ihren Aufnahmen zu 100 Prozent bei der Sache, genau wie die Athleten selbst. Dieses besondere Gefühl kann nur aus einer echten und leidenschaftlichen Verbindung mit deinem Thema entstehen.
„Bei Sportaufnahmen ist es das vielleicht Wichtigste für mich, genau den richtigen Moment einzufangen und zu erleben – genau wie die Athleten selbst. Meine besten Bilder entstehen in den Momenten, in denen alles andere in den Hintergrund tritt und ich wie von selbst funktioniere. Ich lasse mich auf den Moment ein. Natürlich kannst du bestimmte Situationen planen, aber der Moment kommt instinktiv. Dann spürst du weder Hunger noch Kälte. Du hast nur das Bild im Kopf. Du bist eins mit deiner Kamera. Wenn die Aufnahmen im Kasten sind und du nach Hause kommst, dann bist du einfach k. o.“
Heute fotografiert Mine bei Leistungssportwettkämpfen weltweit, auch bei der Sommer- und Winterolympiade. Mit zwei Jahren begann Mine Kasapoglu mit dem Skifahren und gehörte mit 14 Jahren der türkischen Nationalmannschaft an. Mit 16 Jahren wechselte sie zum Snowboarden, begann aber erst 2006 wieder mit dem Wettkampf, als es olympische Disziplin wurde.
In der Zwischenzeit studierte sie am Speos Photographic Institute in Paris Fotografie.
„Meine Leidenschaften für Fotografie und Sport sind erst mit der Zeit zusammengewachsen. Zunächst habe ich Porträt- und Modeaufnahmen gemacht und mein Leben als Zwanzigjährige in Bildern festgehalten … Ich mochte Porträtaufnahmen, verbrachte Zeit mit den Menschen, die ich fotografierte, und lernte sie kennen. Ich fühlte mich immer mehr zu echten Momenten hingezogen und nirgendwo konnte ich das wahre Leben besser nachempfinden als im Sport. Ab diesem Moment fanden meine beiden Leidenschaften zusammen.“
Obwohl sie sich am Ende nicht qualifizierte, trainierte Mine die vier Jahre vor den Olympischen Winterspielen in Vancouver 2010 fast jeden Tag in der Hoffnung, an diesem Ereignis teilnehmen zu können. Auch wenn sich dies nicht verwirklichen sollte, kristallisierte sich in dieser Zeit heraus, was sie gern tun würde. „Ich fing an, bei meinen Aufnahmen dieselben Emotionen zu erleben wie bei eigenen Wettkämpfen. Ich habe mich 2010 nicht als Athletin qualifiziert, dafür aber als Fotografin: Es war mein erster richtiger Job – der Punkt, an dem es richtig losging.“
Auf der Suche nach dem gleichen Element von Realität und Wahrheit in den Bildern, die sie aufnimmt, sieht Mine ihre Aufgabe darin, die Emotionen zu vermitteln, die während des Wettkampfes im Spiel sind. „Das, was ein Athlet fühlt, soll auch für den Betrachter spürbar sein.“
Auf welche Aspekte legt sie also Wert? Wie lässt sich das Bild dynamisch genug gestalten, um eine emotionale Reaktion vom Betrachter zu erreichen? Sie erklärt: „Ich lege zunächst Wert auf einen ruhigen Hintergrund. Es darf keine Ablenkung geben. Dabei geht es nicht nur um Ästhetik. Ich möchte, dass das Foto die Sichtweise des Athleten widerspiegelt – die vollkommene Konzentration. Vieles davon ergibt sich aus der Positionierung der Kamera und natürlich auch aus der Verwendung der richtigen Objektive, wie dem FE 70-200mm f/2,8 G Master, das ich sehr oft nutze.“
„Wenn du ein Sportmotiv wie beispielsweise einen Skifahrer aufnimmst, der direkt auf dich zukommt, brauchst du eine außerordentliche Performance, um mit ihm mitzuhalten. Die Sony α macht diese Aufgabe so viel einfacher als zuvor. Ich verwende manchmal die Einstellung für den Weitwinkel-Autofokusbereich, z. B. wenn das Motiv sehr nah ist. Normalerweise stelle ich den Fokusbereich auf „Flexible Spot“ (Medium), damit sich mein Motiv innerhalb des Bildrahmens bewegen kann, und dann wird das Motiv über den Serien-Autofokus aufgenommen und scharf gestellt.“
„Um diese Emotionen zu vermitteln, suche ich nach Dynamik – etwas in der Bewegung des Athleten, das einen den Atem anhalten lässt. In diesen Fällen ist der Serienaufnahmemodus der α9 mit 20 Bildern pro Sekunde sehr hilfreich. Bei Wettkämpfen kann man den Athleten nicht einfach sagen: ‚Kannst du das nochmal machen‘. Dank der 20 Aufnahmen pro Sekunde kann ich den entscheidenden Moment, der genau das gewünschte Gefühl vermittelt, beim Editieren auswählen. Es ist erstaunlich und es erleichtert meine Arbeit sehr. Natürlich kann man trotzdem nicht einfach zufällig Schnappschüsse aufnehmen, aber es stärkt meine Kompetenz, die bestmögliche Aufnahme zu machen.“
Statt die Aufnahmen in einer bestimmten Phase während des Wettkampfes zu machen, findet Mine den idealen Zeitpunkt für die perfekte Aufnahme häufig kurz vor dem eigentlichen Ereignis: „Ich kann nicht genug von diesen Momenten bekommen – sie haben eine so starke Wirkung auf mich. Stell dir vor, du hast dein ganzes Leben lang für dieses Event trainiert, beispielsweise einen Sprint, der nicht länger als 20 Sekunden dauert. Kurz vor diesem Moment ist die potenzielle Energie einfach am höchsten. Alles kann passieren, alles ist möglich. Aus diesem Grund liebe ich diesen Moment. Du kannst die Athleten kurz vor dem Moment fotografieren, bevor sie der Welt ihre beeindruckende Leistung zeigen. Vergleiche das mit all den Aufnahmen, die man zu sehen bekommt, auf denen die Sportler lächelnd mit ihren Medaillen abgelichtet sind. Bilder dieser Art habe ich genügend gesehen. Sicher finden andere Leute diese Bilder gut, mich interessiert es allerdings mehr, die Emotionen einzufangen, bevor die Athleten ihre sportliche Leistung abliefern.“
Die Inspiration durch die Athleten, die sie fotografiert, ist ein zentrales Element in Mines Arbeiten. Ihre Bilder sind daher in vielerlei Hinsicht eine Hommage an die Sportler. Ihre Aufnahmen sind vom Wettbewerbselement – von dieser besonderen Fokussierung – getragen, so wie sie es selbst als Sportlerin erlebt hat. „Ich weiß, wie viel Mühe es kostet und wie schwer es ist, an diesen Wettkämpfen teilzunehmen. Aus diesem Grund sind alle diese Sportler Helden für mich – einfach, weil sie es so weit geschafft haben. Ich habe es selbst versucht und bin gescheitert. Ich bin mir bewusst, dass sie 1000-mal besser sind als ich zu meiner Zeit. Wenn ich mich müde oder niedergeschlagen fühle, geben sie mit Motivation – denn sie verdienen es einfach, dass mir eine großartige Aufnahme von ihnen gelingt. Mein Ziel ist es, diese Sportler immer gut aussehen zu lassen. Deshalb entscheide ich mich auch in der Bearbeitung nie für Bilder, die diesem Anspruch nicht gerecht werden. Ich möchte die Athleten wie Helden wirken lassen.“
„Auf der Suche nach dem richtigen Licht, Dynamik und Emotionen und genau im richtigen Augenblick aufgenommen“