Mann, der in einer provisorischen Hütte an der mexikanischen Grenze lebt

Bewegliche Bilder

Alessandro Grassani

„Ich mache mir mittlerweile nicht mehr so viel aus Einzelbildern“, beginnt Alessandro Grassani. „Meiner Meinung nach“, so fügt er hinzu, „kann heutzutage jeder ein tolles Einzelbild machen – sogar mit dem Handy. Es ist viel wichtiger, ein komplexes Gesamtwerk zu schaffen. Nur mit einer Serie von Bildern kann man eine Geschichte erzählen und so ein Fenster in eine unbekannte Welt öffnen – nicht nur unter journalistischen, sondern auch unter emotionalen Gesichtspunkten.“

Züchter, der an der Elfenbeinküste in Afrika lebt

© Alessandro Grassani | Sony α7R II + FE 16-35mm f/4 ZA OSS | 1/3200s @ f/5.0, ISO 400

Bei einem dieser Projekte, „The Last Illusion“, geht es um die Wanderung von Umweltmigranten in die Städte. Der Titel spielt auf ihre Hoffnungen an, die leider zerschlagen werden.

In ihrer Heimat haben sie keine Zukunft, also gehen sie in die Städte. Aber wenn man sein ganzes Leben lang Fischer war und dann in einer Stadt wie Dhaka ankommt, fehlen einem die Fähigkeiten zum Überleben. Der Traum von der Stadt wird für sie zum Albtraum.
Fischer sitzt in einem Boot, Elfenbeinküste, Afrika

© Alessandro Grassani | Sony α7R II + FE 16-35mm f/4 ZA OSS | 1/500s @ f/11, ISO 400

Wie ist er dorthin gekommen?

Wie bei den meisten Menschen stellte sich der Erfolg nicht über Nacht ein. Nach seiner Fotografenausbildung arbeitete Alessandro zunächst als Assistent eines Werbefotografen. „Ich habe ein Jahr lang oder etwas länger in dem Studio für ihn gearbeitet, dann hat er mich gefeuert“, lacht Alessandro. „Er sagte, ich sei für diese Art der Arbeit nicht geeignet und sollte mich auf meine Leidenschaft konzentrieren: die Dokumentarfotografie. Eigentlich war es eine nette Art, mich zu feuern.“

Anschließend arbeitete er freiberuflich für italienische Zeitungen, unter anderem für den Corriere Della Sera, und berichtete später auch aus dem Nahen Osten. Heute übernimmt er unterschiedliche Aufträge von Werbe- und Unternehmenskunden sowie Dokumentaraufträge und versucht, wann immer möglich, Zeit für eigene Projekte zu finden. „Alle Aufträge sind gut. Ein Fotograf braucht Geld – genug, dass er und seine Familie davon leben können und er seine eigenen Projekte weiterverfolgen kann.“

Chiapas, Mexiko, Migranten folgen den Bahnschienen in Richtung USA

© Alessandro Grassani | Sony α7R II + FE 16-35mm f/4 ZA OSS | 1/125s @ f/7.1, ISO 400

Hat er etwas aus seiner Ausbildung in der Werbung für seine Arbeit im Dokumentarbereich mitnehmen können? Und wenn ja, wie äußert sich das?

Hauptsächlich geht es um die Nutzung von Licht. Im Studio kann man die Lampen verschieben und die Beleuchtung selbst anpassen. Vor Ort kann man das natürlich nicht, aber wenn man ein Gespür dafür hat, kann man nach Veränderungen beim verfügbaren Licht Ausschau halten. Man ist sich seiner besser bewusst und nimmt es in seine Arbeit auf.

Das bedeutet, dass man auf die richtigen Lichtverhältnisse wartet. Man nimmt sich vor, das richtige Bild zu bekommen, um die Geschichte zu erzählen.

Unterkunft für Migranten in Sonora, Mexiko

© Alessandro Grassani | Sony α7R II + FE 35mm f/2.8 ZA | 1/200s @ f/2.8, ISO 1600

Bei einem meiner Migrationsprojekte kann die endgültige Fassung aus 30 oder weniger Bildern bestehen, die im Laufe mehrerer Jahre aufgenommen wurden. Es kann jedoch eine ganze Woche dauern, eines dieser Fotos zu machen. Ich weiß, was ich sagen möchte, ich kenne den Ort. Um das Foto zu machen, gehe ich tagelang immer wieder dorthin, bei Sonnenaufgang, Sonnenuntergang, Regen und zu verschiedenen Tageszeiten, um das perfekte Licht für meine Geschichte zu haben.
Elfenbeinküste, Afrika, Frau läuft an baufälligem Gebäude vorbei

© Alessandro Grassani | Sony α7R II + FE 16-35mm f/4 ZA OSS | 1/1000s @ f/6.3, ISO 800

Im Zuge dessen ist die Nachbearbeitung ein wesentlicher Bestandteil des Projekts, da sie nötig ist, um die Bilder perfekt auszubalancieren. Alessandro erklärt: „Vor dem letzten Bearbeitungsschritt, wenn ich alle Fotos gemeinsam auf dem Bildschirm habe, weiß ich nie genau, welches die perfekte Aufnahme ist. Die Nachbearbeitung ist sehr wichtig. Wenn man es nicht richtig macht, kann man seine ganze Arbeit zunichte machen. Eine schlechte Arbeit, die gut nachbearbeitet wird, kann besser aussehen, aber wenn eine gute Arbeit schlecht nachbearbeitet wird, geht die Geschichte verloren. Bilder müssen als Serie funktionieren und eine übergeordnete Geschichte erzählen – ein Narrativ, das eine emotionale Wirkung hat.“

Deswegen holt sich Alessandro bei der Bearbeitung immer Hilfe, um eine neue Perspektive auf seine Arbeit zu bekommen. „Der Fotograf ist nicht immer die richtige Person für die Nachbearbeitung der eigenen Arbeit. Ich arbeite dabei mit Menschen zusammen, denen ich vertraue, und es nimmt Zeit in Anspruch. Es kann eine Woche dauern, die einzelnen Teile eines Projekts zu bearbeiten, aber auch mehrere Monate. Ich treffe die erste Auswahl, dann diskutieren wir darüber und dann warten wir eine Weile einfach ab. Es ist wie bei Wein, der auch besser werden kann, wenn man ihn liegen lässt.“

Sonora, Mexiko, Mauer an der Grenze zur USA

© Alessandro Grassani | Sony α7R II + FE 16-35mm f/4 ZA OSS | 1/125s @ f/7.1, ISO 200

Einer der Schlüsselaspekte bei der Fotografie und der Nachbearbeitung besteht darin, ein ausgewogenes Verhältnis von Ästhetik und Journalismus herzustellen. „Ich wende die Regeln des Fotojournalismus an, wenn ich unter ästhetischen Gesichtspunkten arbeite. Ich nehme mir die Freiheit, so zu arbeiten, dass ich Bilder mit einer starken Wirkung aufnehmen kann. Man könnte sagen, ich strebe die perfekte Kombination von Schönheit und Wahrheit an – dann sind die Bilder am aussagekräftigsten.“

Baja, Kalifornien, Mauer zwischen den USA und Mexiko von Tecate aus gesehen

© Alessandro Grassani | Sony α7R II + FE 35mm f/2.8 ZA | 1/320s @ f/5.0, ISO 800

Zu diesem Zweck hat Alessandro begonnen, seine Kompositionen zurückzunehmen und einfachere, effektivere Kombinationen zu suchen. „Vorher“, so sagt er, „habe ich vielleicht nach komplexeren Kompositionen mit verschiedenen Motiven auf unterschiedlichen Bildebenen gesucht. Jetzt versuche ich, mich auf das Wesentliche zu beschränken.“

In der Praxis bedeutet dieser einfachere Ansatz, „dass ich Unnötiges – den Lärm und die Ablenkungen – aus dem Bild nehme, um es zu vereinfachen, den Kontext, z. B. den Ort, an dem die Modelle leben, jedoch beibehalte. Deswegen wähle ich oft weite Landschaften mit dem Modell in der Mitte – Landschaft, Ambiente und das Modell müssen zusammenkommen. Letztendlich ist es der Kontext, der die Geschichte ausmacht.“

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Alessandro Grassani

Alessandro Grassani | Italy

„Mein persönliches Ziel ist es, zu der unermüdlichen Suche nach der perfekten Kombination von Schönheit und Wahrheit, die wir Kunst nennen, einen bleibenden Beitrag zu leisten.“

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